Prof. Dr. Gerhard W. Bruhn, Fachbereich Mathematik der TU Darmstadt

Kommentar zur Dissertation von Frau Dr. Christina Werner, Universität Kassel

"Klinische Kontrollstudie zum Vergleich des homöopathischen und chemotherapeutischen Behandlungsverfahrens
bei der akuten katarrhalischen Mastitis des Rindes
"

(Betreuer: Prof. Dr. Axel Sobiraj, Prof. Dr. Albert Sundrum;
Gutachter: Prof. Dr. Axel Sobiraj, Prof. Dr. Albert Sundrum, PD Dr. Peggy Braun, Dr. Michael Zschöck)

Hinweis: Es gibt weitere kommentierte Stellungnahmen:
        (1) von Herrn Dipl. Stat. Rainer Lüdtke, Karl und Veronica Carstens-Stiftung.
        (2) von den Betreuern der Dissertation

Die Gesellschaft für Ganzheitliche Tiermedizin e.V. (GGTM) hat die Tierärztin Dr. Christina Werner, Universität Kassel, mit dem GGTM-Forschungspreis 2010 ausgezeichnet. Nach Angabe der GGTM handelt es sich um einen "Preis für hochwertige Forschung zur Wirksamkeit der Veterinär-Homöopathie". Die prämiierte Arbeit, eine Dissertation an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig aus dem Jahr 2006, untersuchte Aspekte der Anwendung und Wirksamkeit der Homöopathie beim Rind.

Zitat aus der Mitteilung der GGTM:
"In der randomisierten Studie wertete sie 147 akute katarrhalische Mastitiden von vier Milchviehbetrieben aus, bei denen die Kühe chemotherapeutisch, homöopathisch oder mit einem Placebo behandelt wurden. Bei allen Mastitiden unabhängig eines bakteriologischen Erregernachweises, gab es nach vier und acht Wochen keinen Unterschied in der Heilungsrate der chemotherapeutisch oder homöopathisch behandelten Tiere - dabei war bei beiden Versuchsansätzen die Rate nach acht Wochen signifikant besser, als nach Verabreichung eines Placebos. Frau Werner belegt mit ihren Ergebnissen die Wirksamkeit der Homöopathie für diese Indikation; sie weist aber auch darauf hin, dass eine umfassende Diagnostik grundlegend ist. Die Arbeit wurde finanziert vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz."

I. Allgemeine Bemerkungen

Jedes Ergebnis über die Wirksamkeit der Homöopathie − allgemein oder in irgendeinem Spezialfall − steht in Widerspruch zu den bekannten Aussagen der Naturwissenschaft.

Es könnte sein, dass die Autorin trotzdem recht hat und die Naturwissenschaft im Irrtum ist. Dann wäre das erzielte Ergebnis äußerst spektakulär und einer Veröffentlichung in einem angesehenen wissenschaftlichen Journal, z.B. in NATURE, würdig. Außerdem würden der Autorin über den GGTM-Preis hinaus viele internationale Preise sicher sein.

Derartige besonders bemerkenswerten Ergebnisse bedürfen deshalb einer besonders sorgfältigen Beweisführung.

Wissenschaft besteht aus einem Netzwerk sich wechselseitig kontrollierender wissenschaftlicher Aussagen. In diesem Netzwerk bedürfen auftretende Widersprüche einer genauen Überprüfung und Behebung. Derartige Widersprüche sind geradezu eine wichtige Antriebskraft zur Gewinnung neuer Erkenntnisse. Und Veröffentlichungen, dazu zählen auch Dissertationen (zu deutsch: Streitschriften), sind dazu da, von der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft auf Stichhaltigkeit überprüft zu werden, nicht nur von den Fachkollegen im engeren Sinne.

In viele Arbeiten der Angewandten Naturwissenschaften fließen Ergebnisse aus Bereichen mit ein, in denen die VerfasserInnen nur hospitieren. Dazu haben dann Fachleute anderer Bereiche durchaus eine wissenschaftliche Kontrollfunktion. So ist die korrekte Erhebung und statistische Auswertung von Messreihen keineswegs nur ein Spezifikum der Veterinärmedizin, sondern von der Mathematischen Statistik für alle möglichen Anwendungen bereitgestellt. Damit ist seitens der Mathematik bei Anwendungen auf die Einhaltung der vorgegebenen "Spielregeln" zu achten.

II. Bemerkungen zum Auswertungsverfahren der Dissertation

Auf S. 27 wird die "Arbeitshypothese" benannt. Dort heißt es unter Nr. 2:
"Das homöopathische und das chemotherapeutische Behandlungsverfahren sind der Anwendung eines Placebos bei der vollständigen Heilung eines erkrankten Euterviertels deutlich überlegen."
Diese Zielsetzung wird auf S. 84 für "durch die Ergebnisse bestätigt" erklärt:
"Aufgrund der Ergebnisse kann der klassischen Homöopathie eine Wirksamkeit bei der Behandlung akuter katarrhalischer Mastitiden, die entweder unspezifisch sind oder durch eine Infektion mit umweltassoziierten Erregern hervorgerufen werden, zugesprochen werden. Hinsichtlich der vollständigen Heilung liegen beide Behandlungsverfahren auf ähnlichem Niveau, so dass die Arbeitshypothese durch die vorliegenden Ergebnisse bestätigt wurde."

Wie wurden diese Ergebnisse erbracht?

1) Die erkrankten Tiere wurden per Randomisation in drei Behandlungsgruppen H, C und K unterteilt, die beziehungsweise mit homöopathischen Tief- und Mittelpotenzen in H, chemotherapeutisch in C und mit Placebos in K behandelt wurden (S. 34-35, 43). K wird auch als "Kontrollgruppe" bezeichnet.

2) Die Befunderhebung fand durch klinische Untersuchungen an den Tagen 0, 1, 2, 7, 14, 28 und 56 statt (S. 33).

3) Es wurde während der Studie Behandlungsgruppenwechsel durchgeführt (S. 35) S. 89: " Insgesamt wurde bei 39 der 147 therapierten Euterviertel (26,5%) das Behandlungsverfahren gewechselt.":
"Generell wurde ein Gruppenwechsel von einer Behandlungsgruppe zur anderen bei Stagnation bzw. Verschlechterung der Lokalsymptome durchgeführt."
Der Wechsel erfolgte somit symptomabhängig (S. 36):
"Ein Wechsel der homöopathisch behandelten Fälle in die Chemotherapie-Gruppe (Gruppenwechsler Homöopathie, GWH) war immer dann angezeigt, wenn mit den oben genannten Abweichungen der Lokalsymptome Störungen des Allgemeinbefindens einhergingen. Des Weiteren wurde ein Wechsel zur chemotherapeutischen Behandlung nach mehrmaligem Mittelwechsel innerhalb der homöopathischen Therapiegruppe, bedingt durch mehrfache Änderungen der Symptome, vorgenommen. Der Wechsel vom chemotherapeutischen zum homöopathischen Behandlungsverfahren (Gruppenwechsler Chemotherapie, GWC) wurde nur bei nachweislich negativem Keimgehalt in der VAG vom Erkrankungstag vollzogen, kombiniert mit einer Nicht-Besserung der Symptome innerhalb der ersten Woche."
und
"Die Gruppenwechsler wurden mit dem letzten Befund vor dem Therapiewechsel berücksichtigt (locf, siehe Kapitel 3)."
S. 41: "Gruppenwechsler wurden im Sinne eines Therapieversagens dabei nach der last observation carried forward (locf) Methode ausgewertet, d.h. sie wurden mit dem letzten verfügbaren Befund vor ihrem Gruppenwechsel bis zum Ende der Untersuchung mitgeführt.

Zu den Punkten 1 und 2 gibt es keine Einwände, umso mehr aber zu dem unter Punkt 3 beschriebenen Behandlungsgruppenwechsel, der nach oben zitierter Angabe symptomabhängig vorgenommen wurde. Insbesondere:
"Ein Wechsel der homöopathisch behandelten Fälle in die Chemotherapie-Gruppe (Gruppenwechsler Homöopathie, GWH) war immer dann angezeigt, wenn mit den oben genannten Abweichungen der Lokalsymptome Störungen des Allgemeinbefindens einhergingen."
Das heißt doch wohl, dass, wenn die Homöopathie eine erhebliche Zustandsverschlechterung bewirkt hatte, durch Wechsel zur Chemotherapie nachgeholfen wurde.

Durch derartige Manipulationen an den Gruppenzugehörigkeiten (u.U. sogar mehrfach) wird die Wirksamkeit der jeweiligen Behandlungsmethoden verschleiert:

Bei Gruppenwechsel ist die Gruppenzugehörigkeit nicht mehr eindeutig definiert. Welche zählt und warum?
Welche Behandlungsmethode ist für den jeweiligen Zustandsverlauf verantwortlich?

Die Autorin glaubt, diese Fragen mit dem Hinweis auf die von ihr verwendete "last observation carried forward (locf) Methode" (S. 41) beantwortet zu haben:
Die locf-Methode bedeutet: "sie wurden mit dem letzten verfügbaren Befund vor ihrem Gruppenwechsel bis zum Ende der Untersuchung mitgeführt."

Das ist irrig: Denn es wird dabei fälschlicherweise angenommen, dass das Objekt in der Anfangsgruppe mit deren Behandlung verblieben sei, obwohl die Behandlungsart inzwischen gewechselt hat. Der Behandlungswechsel wird damit kurzerhand ignoriert. K. Meyer und J. Windeler, Institut für Medizinische Biometrie und Informatik der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, schreiben zu der Frage "Ist 'Last observation carried forward' sinnvoll?":
". . . Insbesondere bei stetigen Zielgrößen wird häufig nach der `last observation carried forward' (LOCF) Methode vorgegangen, d.h. der letzte von einem Patienten vorliegende Wert wird für die Endauswertung verwendet. Eine Begründung für dieses Vorgehen wird in aller Regel nicht gegeben, und die möglichen Konsequenzen sind bisher nur sehr unzureichend untersucht."

Damit bedeuten die vorgenommenen symptomabhängigen Gruppenwechsel, mathematisch gesehen, eine Datenmanipulation und Selektion: Es wird selektiv in den zu protokollierenden Prozess eingegriffen, und das ist mathematisch nicht zulässig. Mathematisch zulässig sind allein feste Behandlungsgruppen.

Wegen dieses Verfahrensfehlers ist das Ergebnis der Studie wissenschaftlich irrelevant. Darüber hinaus ist das vorhandene Datenmaterial auch für ein bereinigtes Auswertungsverfahren nicht geeignet, weil während des Erhebungsverlaufs die ursprünglich vorgenommene Gruppeneinteilung verändert wurde, somit durch Weglassung von Fällen nachträglich keine feste Gruppeneinteilung mehr herstellbar ist.

III. Zu einschränkenden Bemerkungen im Kapitel "Diskussion"

Auf S. 84 heißt es einschränkend:
"Die geforderte hinreichende Wirkung des homöopathischen Behandlungsverfahrens liegt anhand der oben dargestellten Ergebnisse nur unter Einhaltung der angewandten Vorgehensweise hinsichtlich Diagnostik und Ein- und Ausschlusskriterien vor. Ohne Einhaltung dieser Vorgehensweise aber muss die Anwendung des homöopathischen Behandlungsverfahrens aufgrund der zu erwartenden niedrigen Behandlungserfolge als nicht zielführend hinsichtlich der Therapie der akuten katarrhalischen Mastitis angesehen werden."

Und auf S. 87:
"Die erzielten Ergebnisse belegen eine Wirksamkeit des homöopathischen Behandlungsverfahrens bei der Therapie von akuten katarrhalischen Euterentzündungen. Der Wirksamkeitsnachweis ist jedoch eng verknüpft mit den spezifischen Ein- und Ausschlusskriterien der Studie, die eine angemessene Diagnostik auf Bestands- wie auch auf Tierebene, vor allem zur Klärung des Erregerspektrums, erfordern."

M.a.W.: Die angebliche "Wirksamkeit"  des homöopathischen Behandlungsverfahrens ist nichts als eine Folge "der angewandten Vorgehensweise hinsichtlich Diagnostik und Ein- und Ausschlusskriterien" und der daraufhin vorgenommenen Gruppenwechsel (S. 89: Wechsel des Behandlungsverfahren bei 39 der 147 therapierten Euterviertel), also nichts als ein Artefakt.

Die Autorin stellt mit diesen Diskussionsbemerkungen ihren von der GGTM preisgekrönten Wirksamkeitsnachweis der Homöopathie selbst in Frage, ohne jedoch die fatale Rolle des Verfahrensfehlers, der symptomabhängigen Gruppenwechsel, zu erkennen. Auch der GGTM ist dieser wichtige Umstand entgangen, indem sie nur auf die nach Meinung der Autorin erforderliche "umfassende Diagnostik" hinweist, ohne das Problem der Gruppenwechsel zu erwähnen.

IV. Weitere Publikationen der Autorin zum Thema

http://www.orgprints.org/view/subjects/7animalhealth.default.html

Werner, C. und Sundrum, Prof. Dr. Albert (2004) Ist die Behandlung von subklinischen Mastitiden mit Homöopathika empfehlenswert? [Is homeopathic treatment recommended for subclinical mastitis?] 8. Wissenschaftstagung Ökologischer Landbau, Kassel, 1. -4. März 2005. In: Heß, J und Rahmann, G (Hrsg.) Ende der Nische, Beiträge zur 8. Wissenschaftstagung Ökologischer Landbau, kassel university press GmbH, Kassel.

Werner, Christina; Sundrum, Albert und Sobiraj, Axel (2007) Empfehlungen zum Einsatz des klassisch-homöopathischen Behandlungsverfahrens bei der Therapie der akuten katarrhalischen Mastitis des Rindes. [Recommendations for using the homeopathic treatment strategy in the case of bovine clinical mastitis.] Zwischen Tradition und Globalisierung - 9. Wissenschaftstagung Ökologischer Landbau, Universität Hohenheim, Stuttgart, Deutschland, 20.-23.03.2007.

Werner, Christina und Sundrum, Prof. Dr. Albert (2006) Comparison of homeopathic and chemotherapeutic treatment strategies in the case of bovine clinical mastitis. Joint Organic Congress, Odense, Denmark, May 30-31, 2006.


Links

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