Wissen contra Glauben:

nano am 16.12.2005 zur Homöopathie-Diskussion

Autor Stefan Schulze-Hausmann

(Textmitschrift)


Autor:

Die Homöopathie ist tot, verkünden Medizin-Journale und verweisen auf eine neue umfassende Studie, nach der die hochverdünnten Mittel genauso wirken wie Placebos, objektiv, gar nicht. Aber vielleicht gilt auch: Totgesagte leben länger. Denn Millionen Patienten weltweit fühlen etwas anderes und schätzen diese Hilfe. Sind das alles Opfer ihrer Einbildung?

Wir wollen Sie auf den aktuellen Stand einer erbitterten Diskussion zwischen Medizin und alternativer Heilkunde bringen. Es geht um Geld, Vertrauen und immer wieder um die Frage, was ist wirklich drin in Globuli und Röhrchen?


Sprecher zu Bildfolge über die Produktion homöopathischer Mittel:

Frisch gefüllt und doch nichts drin, homöopathische Ampullen, denn der Wirkstoff ist nur zu Beginn der Produktion wirklich da und nachweisbar.

Zum Beispiel Chinarinde, fein gemahlen. Mit diesem Wirkstoff hat Hahnemann die Homöopathie erfunden - vor über 200 Jahren. Seitdem hat sich nicht viel geändert. Es wird gewogen und mit Milchzucker verrieben. Einzig die Mörser sind größer als damals. Und sie laufen natürlich automatisch. Und selbstverständlich wird heutzutage auch in in großen Tanks potenziert, wie die Homöopathen sagen. Gemeint ist die extreme Verdünnung des Wirkstoffs. Wieder Milchzucker zentnerweise. Die Produktion läuft auf Hochtouren und das Geschäft brummt.

An die sanfte Homöopathie glauben viele Patienten; unter Experten dagegen glauben wohl nur noch eingefleischte Fans an die Wirksamkeit der homöopathischen Arzneien.


bruno müller-oerlinghausen (arzneimittelkommission der deutschen ärzteschaft):

Bei allem was wir bislang, jetzt, wissen, und auf der Basis der Studien, die wir haben, und der Zusammenfassung dieser Studien, kann man sagen: Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg für die Wirksamkeit homöopathischer Präparate im Vergleich zu Placebo. Sie unterscheiden sich von Placebo nicht.


Sprecher:

Die homöopathischen Wässerchen werden trotzdem fleißig weiter abgefüllt. Kein Wunder, denn sie verkaufen sich prächtig. Darum sind die Homöopathen von der vernichtenden Kritik an ihren Mittelchen kaum beeindruckt.


Wolfgang Kern (Ergo Pharm Baden-Baden):

Keineswegs ist die Homöopathie am Ende. Es gibt auf der ganzen Welt Millionen von Therapeuten und Patienten, die die homöopathischen Arzneimittel bzw. die Homöopathie mit Erfolg anwenden. Zusätzlich gibt es viele Studien, die die Wirksamkeit der Homöopathie eindeutig belegen. All das sind natürlich untrügliche Zeichen dafür, dass die Homöopathie eher immer beliebter wird.


Sprecher:

Haben die homöopasthischen Kügelchen also doch heilende Kräfte. Die angeblichen Belege dafür haben meist wenig Aussagekraft. Aber es gibt zahlreiche Berichte über therapeutische Erfolge. Was stimmt nun?

Sicher ist: Hahnemann hatte zu seiner Zeit die bessere Medizin, denn im 18. Jahrhundert gingen seine ärztlichen Kollegen brutal vor: Einläufe mit Klistierspritzen, Aderlässe und Schröpfen. So mancher Arzt brachte seine Patienten damals eher ins Grab als dass er sie heilte. Da waren die Kügelchen aus Hahnemanns Apotheke schon gesünder, schlicht weil sie harmlos waren im Vergleich zu den Brachialmethoden der anderen Ärzte. Eine heilende Wirkung lässt sich daraus aber keineswegs ableiten, außer man begibt sich in die Gedankenwelt von Hahnemann, und die ist aus heutiger Sicht reichlich sonderbar. Am Anfang war die Chinarinde, ein Mittel gegen die Malaria, das Wechselfieber. Hahnemann wollte wissen, warum die Rinde gegen Fieber wirkt. Er nahm davon und bekam prompt fieberähnliche Symptome. Daraus schloss er, sie wirkt gegen Fieber, weil sie selber Fieber auslöst. Ein Stoff lindert also genau die Beschwerden, die er beim Gesunden hervorruft: Gleiches mit Gleichem. Das klingt zwar gut, ist biologisch aber kaum nachvollziehbar. Zudem hat sein Schlüsselexperiment einen Fehler, denn

Chinarinde löst gar kein Fieber aus.


bruno müller-oerlinghausen (arzneimittelkommission der deutschen ärzteschaft):

Diesen berühmten Chinarindenversuch, der bis heute noch als Beleg für die Wahrheit dieses Gleiches-mit-Gleichem-Prinzips herangezogen wird. Aber spätere Versuche haben gezeigt, dass dieser Versuch gar nicht reproduzierbar ist. Das funktioniert überhaupt nicht. Hahnemann selber hat sich damals getäuscht.


Sprecher:

Um das zweite Standbein der Homöopathie steht es auch nicht viel besser, die Potenzierung, wie es die Homöopathen nennen. Dabei wird der Wirkstoff extrem verdünnt - nicht irgendwie, sondern streng nach Hahnemann verschüttelt, mindestens 10 Mal von Hand. Das soll geistartige Heilkräfte freisetzen. Der Verdünnte wird dann wieder verdünnt, und wieder und wieder. Am Schluss ist häufig überhaupt kein Wirkstoff mehr in der Lösung, nicht ein Molekül. Dafür soll aber umso mehr geistartige Heilkraft wirken. Wissenschaftlich nicht nachvollziehbar. Es gibt Versuche, den beschworenen Effekt mit einer Art Wassergedächtnis zu erklären. Demnach soll das Wasser beim Verschütteln Informationen des Wirkstoffs aufnehmen. Schwierig. So ein Wasser erlebt im Laufe der Zeit ja so Einiges. Zudem ist Wasser auch nie ganz rein, egal wie groß die Sauberkeit ist. Wieso soll es sich dann ausgerechnet an den Wirkstoff erinnern, und nicht an irgendeine harmlose Verschmutzung? Warum die homöopathischen Arzneien wirken sollten, ist also vollkommen unklar. Darum glaubt den Homöopathen kaum jemand, dass ihre Wässerchen überhaupt wirken.

Doch dann, vor zwei Jahren, der große Durchbruch: Ein Experiment mit Rattendärmen brachte den langersehnten Beweis. Homöopathische Arznei ist doch besser als ein Scheinmedikament. Das wurde von den Homöopathen groß gefeiert. Aber heute schweigt man darüber lieber, denn es läuft eine Untersuchung wegen Verdachts auf wissenschaftliches Fehlverhalten. Die Wirkung der Homöopathie bleibt also ein Mysterium.


karl-wilhelm steuernagel (dt. zentralverein homöopathischer ärzte):

Was da physikalisch passiert in dem Moment, wo das Zuckerkügelchen auf die Zunge kommt und dort verschmilzt, ist weitgehend ungeklärt, man kann auch sagen, fast vollkommen ungeklärt. Dass etwas passiert, sieht man an den regelmäßig wiederkehrenden Beobachtungen, wenn man's gegeben hat. D.h. wenn ich etwas gebe und jedesmal dasselbe dann passiert, dann kann ich es der Gabe zuordnen.


Sprecher:

Aus Sicht der Schulmediziner machen es sich die Homöopathen mit dem schlichten Hinweis auf ihre Beobachtungen aber etwas zu einfach:


bruno müller-oerlinghausen (arzneimittelkommission der deutschen ärzteschaft):

Das was sie da tun, ist nicht der Beweis dafür, dass die Medikamente, die sie da einsetzen, als solche diese Wirksamkeit haben, sondern man kann nur annehmen, dass sie in einer häufig wirklich begabten und eindrucksvollen Weise eben eine Placebo-Therapie betreiben.


Sprecher:

Diese Placebo-Therapie wird nicht mehr von den gesetzlichen Kassen bezahlt. Trotzdem bleibt die Homöopathie ein Renner. Und nicht nur die Apotheker sind auf Kundenfang mit den Kügelchen, auch die ersten Kassen scheren aus und zahlen wieder. Denn Homöopathie-Fans sollen gesundheitsbewusster sein und damit attraktiv für die Kassen, die vor allem sparen wollen.


ralf sjuts (deutsche bkk):

Wir haben schon in früheren Jahren in einem Modellprojekt die naturheilkundlichen Verfahren, so auch die Homöopathie, erprobt. Unsere Erfahrungen waren durchweg positiv in der Hinsicht, dass sich dass z.B. das Verordnungsverhalten des Arztes positiv ausgewirkt hat, so z.B. weniger Krankschreibungen, weniger Arzneimittel, die verordnet wurden, und damit haben wir schon auch Gelder einsparen können.


Sprecher:

Das Geld für die Placebo-Kügelchen muss also nicht verschwendet sein, vor allem, wenn dadurch andere, sinnlose Maßnahmen eingespart werden. Und davon gibt es in der Schulmedizin einige. Die Begeisterung für die Globuli wird ohnehin kaum zu bremsen sein, obwohl es nicht die Kügelchen sind, die die Bedürfnisse der Patienten befriedigen.


bruno müller-oerlinghausen (arzneimittelkommission der deutschen ärzteschaft):

Das Bedürfnis ist Gespräch, Zuwendung, Beratung in vielen Lebensdingen, und das ist etwas, was homöopathische Ärzte und Ärztinnen wohl oft besser machen, als wir, die Vertreter der wissenschaftlichen Medizin.


Sprecher:

Zucker und Zuwendung, das ist das Geheimnis der Kügelchen-Medizin.


Autor:

Wer je das Geheimnis der Homöopathie sieht, stellt der Schulmedizin ein schlechtes Zeugnis aus. Wo es an Zuwendung mangelt aus Zeit- oder Kostengründen, bleiben die Erfolge aus, die mit tiefergehender Beschäftigung, längerem Gespräch und der anschließenden Gabe eines alternativen Präparates zuweilen erzielt werden. Die Frage ist dann: Zahlt die Kasse? Das wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Seit heute bringt das Bundesverfassungsgericht mit einem Beschluss etwas mehr Klarheit: Kann in einem konkreten Fall die Schulmedizin gar nichts mehr anbieten, keine Therapie, keine Heilungschance, müssen die Krankenkassen auch alternative Methoden wie Homöopathie bezahlen.


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